Wolfgang Clement sitzt nun im Glashaus – Eil-Umzug der Staatskanzlei zum “Stadttor 1”

350 Beamte und ein Ministerpräsident beziehen ihre neue Staatskanzlei.
“Stadttor 1” die Adresse, ein gläsernes Hochhaus am Rhein;
und aus dem Amtszimmer im 10. Stock kann Wolfgang Clement wunderbar auf
den Landtag herabschauen.

Es gibt am Freitag morgen zwei Versionen, warum Clement den französischen
Botschafter schon im neuen Büro empfängt, um das der Umzug tobt.
Die eine sagt staatstragend: Das neue Büro gefällt dem Herrn
Ministerpräsidenten so gut. Die andere Version behauptet vielmehr,
Täßchen und Tellerchen, für Tee und Gebäck, seien
am alten Ort schon verpackt gewesen.

Was plausibel klingt, wenn 351 Leute in drei Tagen umziehen müssen.
Freitag früh bis Sonntag abend. Mit 1500 Kartons, voll mit Plunder
und Staatsgeheimnissen; allerdings unter Zurücklassung der alten
Möbel: Die soll demnächst die Polizei kriegen.

Packer schleppen, Handys dudeln, Kaffee brodelt, Fensterputzer. Los das
Durcheinander, so daß selbst Clements Vorzimmerchefin Waltraud Overbeck
kurzzeitig den Überblick verliert: “Wo ist er denn jetzt wieder?”
Da kündigt sich ein Dr. Hofmann an, will Blumen bringen (“Der
MP läuft irgendwo `rum”), doch der Moment ist unglücklich
gewählt: Schleußer jetzt am Handy. “Schleußer will
den MP sprechen”, sagt Overbeck, “oder war es umgekehrt?”
– während ein Regierungsrat auf die Schnelle recherchiert, wer dieser
Dr. Hofmann sein mag (“Was will denn der?”). Zugleich: Auftritt
Handwerker, wohin die Alarmknöpfe sollen.

Die neue Staatskanzlei, Etage 6 bis 12. Lichtdurchflutet, luftig, verglast
vom Boden bis zur Decke. 220 Büros. Jahresmiete: sieben Millionen
Mark. Glaubt man den Mitarbeitern, war der Umzug nicht wirklich nötig
aus der alten (“zu eng … mmm, naja”). Aber Clement hat es
zum Symbol stilisiert. Aus dem Muff raus. Modernität. Durchlässigkeit.
Leichtigkeit. Innovation also, wohin man auch schaut.

Ins Foyer zum Beispiel, sechs Etagen, elf Fahrstuhlsekunden unter Clement.
Keine Kantine mehr, aber “Pizza x-large” im “Woyton Coffee”.
Will man Kaffee mit Baguette, muß man “Deal 2” bestellen.
Daneben: “Il Portore – Trattoria, Pasticceria”. Und eine Zahnarztpraxis,
der Mann heißt ausweislich des Praxisschildes “Grau” –
ja ließ sich denn nicht wenigstens ein “Dr. Neuland” finden?

Dr. Hofmanns Identität steht inzwischen ebenso fest wie derselbe
in der Tür. Geschäftsführer von Boston Consulting, Nachbar
aus den Dachetagen. Typischer Nachbar, andere sind “Regus Instant
Offices” oder “Kienbaum Consultants”. Oder, im Foyer, “Cigaretten,
Tabac”: Auch die Consultants, sagt der Lottomann, spielen fleißig
mit ihm Lotto.

Hofmann hat Rosen dabei und Margeriten, muß sich etwas gedulden.
Dann kommt Clement: “Der Botschafter und ich haben gerade versucht,
Sie aufzusuchen. Aber wir haben uns irgendwo vertan”, sagt er. Alles
wird gut: “Wunderbar sind die neuen Büros, gut für die
Arbeit”, sagt Clement. Während eine Frau ein Bild aufhängt
und murmelt: “Alle seine Frauen” Eine Zeichnung der fünf
Töchter Clements.

Ungelöst zunächst – die Frage der Ahnengalerie. Wohin mit den
Alten, den Ex-Ministerpräsidenten in Öl, die in der alten Staatskanzlei
hingen? Wohin nur, wohin – hierhin passen sie so recht nicht. 800 qm Keller
hat die Staatskanzlei im Stadttor mitgemietet.

Montag morgen soll die Regierungszentrale wieder arbeitsfähig sein.
Clement, der Mann, den die Fraktion “Seine Effizienz” nennt,
sitzt dann buchstäblich im Glashaus.

Erschienen in: WAZ Samstag, 27.03.1999
Von: Hubert Wolf