Umzug ins Glashaus

Den nordrhein-westfälischen Regierungschef Wolfgang Clement hält
es nicht länger in der alten Staatskanzlei

Johannes Rau hat es sich selbst verboten, die Arbeit, den Ton und Stil
seines Nachfolgers Wolfgang Clement zu kommentieren. Es gibt deshalb vom
ehemaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten kein
einziges Wort über Clements Entscheidung, so schnell wie möglich
jenes Haus zu verlassen, in dem vierzig Jahre lang die Ministerpräsidenten
Franz Meyers, Heinz Kühn und Johannes Rau das bevölkerungsreichste
Bundesland regiert hatten. Aus dem dunklen, holzgetäfelten kleinen
Gebäude im Schlagschatten des Mannesmannhochhauses am Rheinufer wird
der neue Regierungschef zu Beginn des kommenden Jahres die Staatskanzlei
und damit den Amtssitz des Ministerpräsidenten in eines der modernsten
Hochhäuser Europas verlegen, in einen mehrfach preisgekrönten
architektonischen Traum aus Glas und Stahl.

Der Umzug ins “Stadttor Düsseldorf” hat für Wolfgang
Clement eine durchaus gewollte symbolische Bedeutung. Er hat das von einer
privaten Investorengruppe finanzierte Haus zwar nicht mit geplant. Aber
er hat aus dem nahen Wirtschaftsministerium zusehen können, wie die
beiden dreieckigen Glastürme 75 Meter in die Höhe wuchsen. Und
gleichzeitig wuchs bei ihm die Gewißheit, in absehbarer Zukunft
seinen eigenen Arbeitsplatz in die Staatskanzlei verlegen zu können.
Irgendwann konnte sich Clement dann des Gedankens nicht erwehren, wie
symbolträchtig für die neue Regierung und wie wunderbar für
ihn selbst es wäre, wenn das Land nicht länger aus dem mit Traditionen
überlasteten muffigen Amtssitz am Mannesmannufer, sondern in lichter
Höhe regiert würde.

Da traf es sich gut, als vorsichtig ausgesandte Emissäre mit der
Meldung zurückkamen, daß noch Platz sei im Stadttor, noch nicht
alle Etagen vermietet seien. Der Mietpreis von 45 Mark pro Quadratmeter
ließ Finanzminister Heinz Schleußer nicht erbleichen, umso
weniger, als Clement ihm – sorgfältig abgeschirmt von der Öffentlichkeit
– anbot, entweder die alte Staatskanzlei als Finanzminister zu nutzen
oder das Gebäude zu verkaufen. Mit Zustimmung des Finanzministers
ließ Clement sieben Stockwerke des gläsernen Hochhauses mit
insgesamt 11.000 Quadratmetern als künftige Staatskanzlei reservieren.

Johannes Rau hätte das nie getan. Daß er als Ministerpräsident
für “seine” Staatskanzlei irgend jemandem Miete hätte
zahlen müssen, wäre Clements Amtsvorgänger als schwerer
Verstoß gegen die selbstverständliche Kleiderordnung im Lande
vorgekommen. Zufrieden war zwar auch Johannes Rau schon lange nicht mehr
mit den Arbeits- und Repräsentationsmöglichkeiten in der jetzigen,
im Jahre 1911 gebauten Regierungszentrale gewesen. Aber weil der Neubau
einer Staatskanzlei sich aus finanziellen Gründen verbot und selbst
der einmal ins Auge gefaßte Umbau des ehemaligen Landtags am Schwanenspiegel
zur Regierungszentrale mit gutem Gewissen nicht finanzierbar war, blieb
alles beim alten.

Sein künftiger Status als Mieter ist dem Clement herzlich gleichgültig.
Der Umzug – das Bild von Tapetenwechsel verbietet sich schon deshalb,
weil in den gläsernen Wänden der neuen Staatskanzlei gar keine
Tapeten anzubringen wären – “rechnet sich”, meint der Regierungschef
nüchtern. Auf Dauer gesehen spare das Land dadurch sogar Geld. Im
Vergleich zu herkömmlichen Hochhäusern wurden im Stadttor bis
zu 70 Prozent der Energiekosten eingespart. Durch eine innovative Klimatechnik
könne auf eine energiefressende Klimaanlage verzichtet werden, und
durch das “Wintergartenprinzip” verkürze sich die Heizperiode
auf vier Wochen im Jahr, schwärmte Clement, als er den Journalisten
seinen noch unfertigen künftigen Arbeitsplatz vorstellte. Er jedenfalls
freue sich auf die neue Wirkungsstätte – und riet seinem Stab, sich
ebenfalls zu freuen, weil “die Atmosphäre dieses weltweit beispielhaften
Hochhauses sich auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überträgt”.
Der Ministerpräsident verhehlte nicht, daß er mit dem Umzug
“auch Zeichen setzen” will. Das Stadttor sei “ein Beispiel
für die Bestleistungen, zu denen Nordrhein-Westfalen in der Lage
ist. Hier haben Unternehmen aus unserem Land Spitzenleistungen erbracht.
Das ist Nordrhein-Westfalen als Nummer eins.” Darunter will es ja
auch Wolfgang Clement als Ministerpräsident nicht machen.

Erschienen in: Frankfurter Rundschau, 1. Juli 1998

Von: Reinhard Voss (Düsseldorf)