Clement: Durchatmen im Glashaus

Der Wechsel aus der alten in die neue Staatskanzlei soll auch politisch
die Wende für den glücklosen Regierungschef bringen

Düsseldorf – Der Wind weht frisch und frühlingshaft um die
Nordspitze des gläsernen Hauses, das mit seinem Bug wie die stählerne
Nase der untergegangenen Titanic in die Landschaft Düsseldorfs schneidet.

Es ist kein Haus des Untergangs, es ist ein Haus des Aufbruchs:

Im zehnten Stock läßt sich Ministerpräsident Wolfgang
Clement in seinen schwarzen Arbeitssessel fallen, reckt den Fotografen
die rechte Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger entgegen, wie es die
Kinder in der Schule tun, wenn sie etwas mitzuteilen haben.

Clements Geste ist seine Mitteilung: Hallo, hier bin ich, ich bin angekommen.
Darüber freut er sich wie ein Schuljunge, man sieht es ihm an.

Seit Montag residiert der erste Politiker des Landes, der sich auch als
Manager versteht, im Stadthaus über dem Tunnel zum Rhein – nur einen
Steinwurf entfernt von zwei Männern, die als Manager Weltruhm erlangten:
Gerhard Cromme und Ekkehad Schulz, die neuen Herren des neugebildeten
Krupp-Thyssen-Konzerns. Auch sie sitzen im Hochhaus.

Wie Cromme und Schulz steht auch Clement vor einem Neuanfang: Der Umzug
aus der alten Staatskanzlei in die architektonische Zukunft wird von Clement-Kennern
als Umzug mit Symbolcharakter bezeichnet.

Nach zehn Monaten im Amt sucht er endgültig den Weg heraus aus dem
Schatten seines übermächtigen, weil allgegenwärtigen Vorgängers
Johannes Rau, der in der “Villa Horion” zwanzig Jahre regiert
hatte. Alles dort, die Menschen, die Möbel, die Mitbringsel, ist
geprägt von ihm, als hätte er das Haus nie verlassen.

Da hat es ein Neuer schwer, zumal, wenn ihm das Pech so an den Fersen
haftet wie Wolfgang Clement: HDO, Verwaltungsreform, die Zusammenlegung
von Innen- und Justizministerium, die Rauball-Affäre – Meilensteine
des Mißerfolges für den Mann, den die Neue Ruhr-Zeitung mit
der Zeile begrüßt hatte: “Glückauf, der Macher kommt”.

Vergangenheit, nicht abzustreifen, aber zu überwinden. Die Brücke
zwischen dem Gestern und dem Heute, zwischen deprimierender Ernüchterung
und euphorischer Schaffenskraft, heißt Erfolg. Den sucht Clement
im neuen Haus.

Wie fast alles, was er in der Vergangenheit anfaßte, war auch der
Standortwechsel zum Politikum geraten: Umbau und Umzug kosten den Steuerzahler
14,7 Millionen Mark, die Miete für 12.300 Quadratmeter auf sieben
Stockwerken sieben Millionen Mark jährlich. Das erschien etlichen
zu teuer.

Den Wechsel, der die Wende bringen soll, nennt Clement “einen Sprung
in die Moderne, einen Brückenschlag ins neue Jahrtausend”. Entsprechend
nüchtern und klar wirkt sein 70 Quadratmeter großes Büro,
kühl und sachlich die Einrichtung, übrigens fast komplett von
ostwestfälischen Möbelherstellern geliefert: schwarze Lederstühle
mit Chromfüßen, kleine Tische aus satiniertem Glas, anthrazitfarbene
Schränke.

Nur ein goldfarbenes Tischchen auf Krähenfüßen fällt
ein wenig aus dem Rahmen. Und die Familienfotos auf Clements Schreibtisch,
bestehend aus einer Buchenholzplatte auf Stahlfüßen. Von dort
fällt sein Blick direkt auf eine Zeichnung seiner fünf Töchter
an der gegenüberliegenden Wand. Wenn er aus dem Fenster blickt, sieht
er unter sich den Landtag und die alte Staatskanzlei. Aber die scheint
sehr weit weg.

Erschienen in: Welt am Sonntag, Sonntag, 04. April 1999

Von: Von Gesche Wupper